Bitcoin Geld

Ist Bitcoin Geld?

Im vielleicht folgenschwersten Papier der modernen Ökonomie beschreibt Satoshi Nakomoto Bitcoin als «peer-to-peer electronic cash system». In der deutschen Version wird «cash» mit «Bargeld» übersetzt. Aber ist Bitcoin Geld? 

Dazu müssen wir Geld zuerst definieren. Das ist im Detail ziemlich schwierig. Aber wir können uns annähern, indem wir auf die Funktionen blicken, die Geld erfüllen muss. Die 3 grundlegenden Funktionen sind:

  1. Es muss Tauschmittel, 

  2. Wertaufbewahrung-Mittel und 

  3. Wertmassstab sein.

Geld muss all diese Funktionen erfüllen, aber nicht alle gleich gut. So erfüllen viele Fiat-Währungen die Wertaufbewahrungs-Funktion aktuell nicht sehr gut, gelten aber dennoch als Geld.

Wenn wir von den Funktionen ausgehen, wird klar: Bitcoin ist aktuell nicht vollständig Geld. Wer misst schon seine Werte darin oder nutzt es als Tauschmittel?

Die Frage ist aber, ob es sich zu Geld entwickeln kann.

Dazu müssen wir zunächst überlegen, wie diese Entwicklung stattfinden könnte. Danach diskutieren wir 4 Argumente, die oftmals vorgebracht werden, um Bitcoin als Geld zu diskreditieren. Diese sind Volatilität, Spekulation, Deflation und Schuldgeld.

Monetisierung

Wie wird ein Gut zu Geld? Leider ist die Forschung zu diesem Thema sehr dünn. Aber wir können von der Entwicklung von Bitcoin lernen: Bitcoin hat sich bereits zu einem Wertspeicher für eine breitere Masse entwickelt. Zuvor war es eher Austauschmittel für Cypherpunks. Wenn Bitcoin nun Wertspeicher («Gold 2.0») ist, kann es dann noch Geld sein?

Damit sich ein Gut als Geld durchsetzt, muss es stets von einer signifikanten Gruppe gehalten werden. Ohne diese Adoption können keine Netzwerkeffekte entstehen. Die einzigen Anreize, um irgendein Gut zu halten, sind entweder die Eignung für spezifische Funktionen oder die allgemeine Wertspeicherfunktion, dergemäss sich das Gut künftig in alle möglichen Güter eintauschen lassen wird. Im ersten Falle wäre es bloss ein Gut unter vielen, niemals Geld. Somit erscheint es notwendig, dass Geld immer zunächst Wertspeicher ist – auf Kosten der Tauschmittel-Funktion. Denn andernfalls ist eine breite Adoption kaum vorstellbar.

Volatilität

Der Weg über den Wertspeicher bedingt aber Preis-Volatilität. Ein signifikanter globaler Wertspeicher muss Billionen von Dollar speichern. Der Weg dorthin kann in einer freien Wirtschaft nicht linear vonstatten gehen. Denn solch ein vorhersagbares Muster würde sofort durch Spekulation ausgenutzt und damit gestört.

Die Volatilität ist daher kein Fehler von Bitcoin, sondern eine normale Konsequenz der Monetariserung. Wenn sich im Markt ein gewisser Konsens über den Wert von Bitcoin herausgebildet hat und mehr Menschen Bitcoins halten, sollte die Volatilität abnehmen.  

Market Cap

Quelle: inbitcoinwetrust, Daten aus 2020

Spekulation

Ein häufiger Kritikpunkt von Bitcoin ist, dass es keinen inneren Wert habe. Den meisten ist gar nicht ganz klar, was sie damit meinen. Aber sie denken meist an unser Fiatgeld, das irgendwie durch die Zentralbank «gedeckt» wäre. Oder an Gold, dessen industrielle Nutzung den Preis bestimmen würde. Bitcoin dagegen sei ein reines Schneeballsystem, ein Spekulationsobjekt. Jeder hoffe bloss, teurer an den nächsten zu verkaufen.

In Wahrheit ist der Begriff der Deckung unscharf. Er kommt aus der Zeit des Goldstandards, als alle nationalen Währungen feste Wechselkurse zu Gold hatten. Dieses Konstrukt hatte inhärente Schwächen und ist seit 1971 Geschichte.

Bitcoin ist genau so wenig gedeckt wie Fiat-Währungen oder Gold. Es nimmt seinen Wert daraus, dass es sich – so die Annahme ihrer Halter – in der Zukunft einfach und idealerweise gewinnbringend in Güter eintauschen lassen wird.

Ist Bitcoin deshalb ein Schneeballsystem? Nein, denn das gilt für alle Wertspeicher. Was Bitcoin von einem Schneeballsystem unterscheidet, sind seine Qualitäten: Bitcoin ist das sicherste und knappste Gut der Menschheitsgeschichte, hat quasi keine Aufbewahrungskosten, ist unendlich teilbar und lässt sich unter vernachlässigbaren Kosten um die ganze Welt transportieren. 

Deflation

Gerade Ökonomen stossen sich an der deflationären Angebots-Entwicklung von Bitcoin. Alle 4 Jahre halbiert sich die neue Geldschöpfung pro Block. Sie erreicht asymptotisch 21 Millionen. Deflationäre Güter, so der makroökonomische Mainstream, eigneten sich nicht als Tauschmittel. Dies hat einen logischen und einen historischen Grund. 

Der historische Grund ist der 2-malige Zusammenbruch des Goldstandards im 20. Jahrhundert. Man schloss, dass sich das deflationäre Gold nicht gut an die Bedürfnisse einer expandierenden globalen Wirtschaft bzw. einer Kriegswirtschaft anpassen lasse. Doch in Wahrheit lag das Problem eher in den Zentralisierungstendenzen von Gold. Gold ist schwer aufzubewahren, zu verifizieren und zu transportieren. So akkumulierten sich die Goldbestände in zentralen Schatztruhen – meistens beim Staat. Damit war es einfach, die Konvertierbarkeit von Schuldtiteln in Gold auszusetzen und Sparern immer mehr ungedeckte Schulden aufzuzwingen.

Deflation

Bitcoins im Umlauf (blau) und Bitcoin-Inflation pro Jahr (orange). Quelle: Crypto Valley Journal

Bitcoin überkommt diese Beschränkungen des physischen Elements Gold. «Digitales Gold» zeigt die Befreiung vom Joch der Physik an. Ausserdem ist es viel schwieriger, ein überbordendes Schuldsystem auf Bitcoin aufzubauen, denn die Anzahl Bitcoins ist publik.

Neben diesem historischen Argument führen viele Ökonomen der Keynesianischen Schule das Gespenst der Deflationsspirale ins Feld, um deflationäre Wertspeicher als Geld zu disqualifizieren. Deflation, so das Argument, führe zu einer schrumpfenden Wirtschaft. Die Menschen würden angesichts fallender Preise stets lieber sparen als heute einkaufen. Die Abwärtsspirale würde sich selbst immer weiter verschärfen und die Wirtschaft in die Knie zwingen. Eine milde Inflation dagegen sei vorteilhaft, da sie die Konsumwirtschaft antreibe.

Falsch an diesem Argument ist die Annahme, dass deflationäres Geld zu immer weiter sinkenden Preisen und fallender Nachfrage führe. Immerhin müssen Menschen gewisse Güter erwerben, um basale Bedürfnisse zu befriedigen. Und sie möchten sich gewisse Befriedigungen gönnen, statt sie immer weiter hinauszuschieben.

Aber das Argument hat einen wahren Kern: unsere aufgeblasene Wirtschaft des kurzfristigen Konsums und billiger Qualität ist in einem Bitcoin-System kaum vorstellbar. Die Frage ist: ist das so schlecht? Oder eher die einzige Hoffnung, um die Klimakrise abzuwenden? 

Global dept

Die globalen Schulden im Vergleich zur globalen Wirtschaftsleistung. Die Welt begibt immer mehr Schulden für immer weniger Wachstum. Quelle: IIF

Die Geldpolitik von Bitcoin ist das Resultat pragmatischer Überlegungen von Satoshi Nakomoto. Er nahm an, zu Anfang sei eine höhere Inflation vonnöten, um Mining zu motivieren. Im Zuge der erhöhten Adoption könnten Miner dann zu einem höheren Anteil in Transaktionsgebühren bezahlt werden. Eine genaue Herleitung der verwendeten Funktion findet sich nicht.

Man kontrastiere dies mit dem fast universellen Ansatz der Wirtschaftswissenschaften: Ökonomen beraten die Politik mit theoretisch hergeleiteten Ansätzen, wie die Geldmengenausweitung auf Basis gewisser Messgrössen zu gestalten sei. Diese Messgrössen werden dann allerdings über kurz oder lang manipuliert – man denke an die zahlreichen Anpassungen in der Inflationsmessung. Ist es daher nicht besser, gar nicht auf Messgrössen zu vertrauen, sondern eine Geldpolitik zu entwerfen, die davon gar nicht abhängt? So wie Satoshi es vorzeigt.

Schuldgeld

Ein letztes Gegenargument besagt, Geld müsse stets ein Schuldgeld sein, also eine Verbindlichkeit. Ansonsten gäbe es ja keine vertragliche Grundlage dafür, dass das Geld am Ende auch für etwas Bestimmtes eingetauscht werden kann. Verteidiger verweisen auf die anthropologische Forschung, denn in vielen alten Gesellschaften wurden Schuldtafeln genutzt, noch bevor Geld (wie Metalle) im Umlauf war.

Schuldgeld

Schuldttafel aus der antiken Stadt Uruk in Mesopotamien. Quelle: BBC

Viel in unserem Finanzsystem ähnelt diesem Schuldtafel-System: Bankguthaben sind bloss Schuldverschreibungen, um Bargeld auszuzahlen. Verschiedene gegenseitige Verbindlichkeiten (IOUs) wurden zu einem genormten Netz an Verbindlichkeiten konsolidiert, bei dem die Währungen als Denominator fungieren. 

Doch all die mehr oder weniger liquiden Schuldtitel sind stets Versprechen zur Auszahlung von Bargeld. Münzen und Noten dagegen sind keine expliziten Schulden, um irgend etwas auszuzahlen. 

Dennoch ist Bargeld ein Schuldgeld. Bloss nicht explizit konkret mit einem klar geregelten Eintauschwert. Sondern implizit und abstrakt. Denn es ist eine Schuld der Zukunft. Jeder gute Wertspeicher lässt sich ja in der Zukunft gut und gewinnbringend gegen Waren eintauschen. Zukünftige Generationen müssen diese Güter zuerst erwirtschaften und verkaufen. Dafür erhalten sie … nun, den Wertspeicher. Wollen sie diesen nun eintauschen gegen Waren, so stehen sie im Wettbewerb mit all den Haltern von Wertspeichern der Vergangenheit.

Insofern ist jeder Wertspeicher eine Verbindlichkeit der Zukunft. Das ist nicht verwerflich, denn immerhin erwirbt die zukünftige Generation ja einen guten Wertspeicher und erbt eine intakte Wirtschaft.

Bitcoin ist digitales Bargeld. Für Bitcoin gilt somit dasselbe wie für die analoge Version. Es ist kein Schuldtitel, um einen anderen Wertspeicher auszuzahlen. Es ist der Wertspeicher selbst und somit eine Schuld der Zukunft.

Fazit

Nachdem wir die wichtigen Gegenargumente gegen Bitcoin als Geld entzaubert haben, können wir schliessen: Es spricht nichts dagegen, dass Bitcoin Geld werden kann. Seine Eigenschaften legen nahe, dass es sich als Wertspeicher verbreiten und dann auch als Tauschmittel und Wertmassstab etablieren kann. Bitcoin ist nicht «zu volatil», um Geld zu sein. Im Gegenteil: es ist volatil, weil es dabei ist, Wertspeicher zu werden. Bitcoin ist kein Schneeballsystem. Ein Bitcoin-Standard ist nicht inkompatibel mit einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, wohl aber mit einer sich immer schneller drehenden Schulden-Blase zur kurzfristigen Optimierung der Wirtschaftsleistung. Bitcoin ist – wie jedes Geld – eine implizite Schuld der Zukunft. Aber vor allem ist es eine grosse Hoffnung für diese.

 

Weitere Beiträge von Sebastian zur Geldtheorie und zu Bitcoin Lightning finden sich unter sebastianstrub.com/lightning